Abschied (27.8.2020)

In memoriam a mi querida Mamà


 

27. August 2020, Donnerstag


Die erschütternde Nachricht erreichte mich gestern Nacht, noch vor dem Einschlafen: Für uns alle völlig unerwartet verstarb meine geliebte Schwiegermutter im Spital von Bergamo, wo sie kurz zuvor notfallmässig eingeliefert worden war. Weit weg fühlte ich mich hilflos und leer, verbunden einzig in der gemeinsamen Trauer der Familie. Traurig waren wir nicht nur über den Verlust, sondern auch, dass wir uns nicht von ihr hatten verabschieden können, ausser ihr ältester Sohn, der Gott sei Dank bei ihr sein konnte. Irgendwie versuchte ich, den Gedanken entfliehen und etwas schlafen zu können, was jedoch kaum gelang. Trotzdem bin ich an diesem Morgen nicht müde, fühle nur die Schwere dieser unumstösslichen Nachricht, die mich von nun an wohl über eine längere Zeit begleiten wird. Ich war stets sehr verbunden mit dieser starken Frau, für die ich von Anfang an bedingungslos Tochter war, und nun, da sie nicht mehr auf dieser Welt ist, fühle ich mich erst recht verbunden mit ihr.

Ausgerechnet heute und morgen stehen mir die einzigen zwei Tage bevor, an denen ich mit Motorradfreunden abgemacht habe - ausgerechnet!... Irgendwie belastet mich diese Situation, denn ich kann mir kaum vorstellen, eine gute Begleiterin in froher Runde zu sein; doch allmählich sehe ich auch die Chance, gerade durch gemeinsames und geteiltes Erleben der nächsten zwei Tage diese Schwere besser ertragen zu können und zu einer Stimmung zu finden, die meiner Mamà garantiert besser gefallen würde.

 

Mit diesen etwas positiveren Gedanken fahre ich nach Ehrensdorf zu unserem Treffpunkt. Beim Karawankenblick treffen wir alle drei fast gleichzeitig ein und stellen fest, dass auch dieses Restaurant geschlossen ist. Nicht nur mein Tag gestaltet sich heute gänzlich anders als erwartet, auch bei Erika und Franz ist etwas dazwischen gekommen, sodass sie am Mittag wieder zuhause sein müssen. Und trotzdem haben sie den weiten Weg unter die Räder genommen für dieses Treffen, damit wir wenigstens eine kurze Zeit miteinander verbringen können! Ich bin echt gerührt und freue mich sehr über diese liebe Geste. Wir setzen uns kurzerhand trotz fehlender Bedienung an einen der grossen Gartentische, haben einander viel zu erzählen und nehmen uns vor, uns vor meiner Rückreise wenn irgend möglich noch einmal zu treffen. Die kurze gemeinsame Zeit und der Abschied hätten herzlicher nicht sein können, und wir freuen uns auf ein Wiedersehen.


Wie ich den beiden nachsehe, mischen sich die Gefühle und ich spüre die Traurigkeit langsam wieder aufsteigen. Ich setze mich auf meine kleine Honda und fahre los - zwar habe ich die Route zu den nächsten Punkten eingegeben, aber es ist nicht das Erreichen dieser Ziele, es ist das Fahren selbst, welches auf mich tröstend wirkt. Es sind die Bilder, die sich mir einprägen, die Gerüche, die Geräusche des Waldes und des Motors, die Farben des Lichts, die Sonnenstrahlen zwischen den Tannenästen, die Kraft der Felsen, das Tiefblau eines Sees, die Strasse selbst, welche mich vorwärts zieht. All dies teile ich mit diesem lieben Menschen, welcher rein rational nicht mehr unter uns ist, aber dessen Präsenz ich stärker spüre denn je.






In dieser meditativen Fahrt erreicht mich am frühen Nachmittag ein Telefon, welches mich auf einen Schlag in die Wirklichkeit zurückholt mit der Nachricht, dass die Beerdigung schon morgen Mittag sei! Nie hätte ich erwartet, dass dieser Moment so schnell da sein würde und kann es kaum fassen. Meine Gedanken kreisen von nun an nur noch darum, wie ich es schaffe, bis heute Nacht nach Bergamo zu kommen. Die gut 550 km mit der kleinen, vollbepackten Honda fahren zu wollen, scheint mir keine Option, insbesondere ohne vorher abklären zu können, was es mit dem Geräusch auf sich hat, das ich auch heute immer wieder vernehme; das Risiko, irgendwo auf halber Strecke stecken zu bleiben ist mir zu gross, ganz abgesehen auch von der Strapaze, die diese Reise für mich bedeuten würde. Ein Flug ist in dieser Zeit der Pandemie ebenfalls nicht möglich, die Zugverbindungen reichen zeitlich nie und nimmer, und so bleibt als einzige Chance, in Klagenfurt einen Mietwagen zu finden. Auf Google finde ich etliche Vermietungen, die bis 17.00 oder bis 18.00 Uhr geöffnet haben. So ändere ich meinen Kurs und fahre direkt nach Klagenfurt, peile dort aber zuerst einen Motorradmechaniker an, damit in diesen zwei Tagen, in denen ich weg bin, im besten Fall das Problem behoben werden kann und die Honda an einem sicheren Ort ist.

An dieser Stelle gebührt ein herzliches Dankeschön Stefan Hobisch und seinem Kollegen, welche sich gemeinsam trotz meines unangemeldeten Erscheinens extrem viel Zeit und Mühe nehmen, die Honda auf das Geräusch zu untersuchen. Zwar sind sie sich nicht ganz einig über die Ursache: während der eine mir einen grossen Schrecken einjagt mit dem ersten Verdacht auf einen Schaden am Pleuel und damit quasi auf einen Motorschaden, gibt der andere nach einer Probefahrt Entwarnung und würde das ausschliessen. Solange die Honda genügend Öl hat, bräuchte ich mir keine Sorgen zu machen, und neben einem guten Pannenschutz wäre es natürlich ideal, zusammen mit jemandem unterwegs zu sein, falls es doch noch zu einer Panne kommen sollte, meinte er. Mir fällt ein Stein vom Herzen, denn für mich zählt einzig, ob ich gefahrlos weiterfahren kann, was nun die beiden freundlichen Experten mir technischen Banausin bestätigen.

 

So fahre ich nun direkt zur nächsten Autovermietung. Sobald alles geregelt ist, werde ich das Hotel in Lavamünd stornieren und Robert für die gemeinsame morgige Tour absagen müssen, in der Hoffnung, dass wir sie auf einen späteren Tag verschieben können. Wenn ich dann um fünf hier losfahre, könnte ich noch vor Mitternacht in Bergamo sein... Die Überraschung und Enttäuschung ist jedoch gross, als ich an der geschlossenen Eingangstür zu Interrent die auf ein A4-Blatt gedruckten aktuellen Öffnungszeiten lese: Mo bis Fr 8.00 bis 12.00! Das kann doch nicht wahr sein! Ich fahre zum nächsten Autovermieter, aber auch dort haben sie bereits am Mittag zugemacht. Weitere Anrufe bringen mich zum selben Ergebnis und zur bitteren Erkenntnis: Es ist definitiv nicht mehr möglich, an der Beerdigung meiner Schwiegermutter dabei zu sein. Und auch wenn ich mich sofort nach der Nachricht telefonisch oder online um einen Mietwagen gekümmert hätte, wäre es bereits zu spät gewesen. Letztendlich sind es die verrückten Einschränkungen wegen Corona, welche die unter normalen Umständen einfachsten Handlungen nun verunmöglichen. Und was alles zusätzlich erschwert, sind die unzuverlässigen und falschen Informationen, denen man ausgeliefert ist.


Ich bin frustriert, sitze auf meine kleine Honda und fahre einfach aus Klagenfurt heraus, ohne Navi, nur dem Gespür nach irgendwie Richtung Osten. Heraus aus der Hitze dieser Stadt, aus dieser Ansammlung von Häusern, Menschen, amputierten Dienstleistungen und leeren Versprechungen. Die Hilflosigkeit und Trauer übermannt mich, und als ich weit genug von bewohntem Gebiet weg bin, fahre ich vor einer Brücke in ein kleines Nebensträsschen hinein und lande nach wenigen Metern am Ufer eines Sees oder Flusses, der vielleicht die Drau sein könnte, welche ich vor etwa drei Stunden an einer anderen Stelle Richtung Klagenfurt überquert habe.


Die Szenerie mit ihrem üppigen, wildwachsenden Grün, dem stillen Wasser und den bereits leicht rosa gefärbten Wolken des frühen Abends ist magisch. Hier halte ich inne, versuche, die ganzen Eindrücke des Tages einzuordnen und zu verarbeiten und beschliesse, an diesem Ort eine Zeit zu verweilen und mich ganz persönlich von meiner Schwiegermutter zu verabschieden.



Diese Auszeit hat es gebraucht. Nach etwa einer halben Stunde macht sich eine Art Ruhe und Gelassenheit in mir breit, eine friedlichere und wieder zuversichtlichere Stimmung. Ich versuche nun, meine Gedanken nach vorne zu richten und mache mich wieder auf den Weg: auf meinen Weg durch diese wunderschönen Landschaften, über die Pässe, die vielen, die noch bis zum Erreichen meines hoch gesteckten Zieles fehlen, auf meinen Weg zusammen mit meiner kleinen Honda. Und in meinen Gedanken fährt meine geliebte Mamà mit.










Die Routenkarte vom 27. August, den Umständen des Tages angepasst:


Schiefling am See - Sabotnica - Loibltunnel - Uznik-Sattel - Schaidasattel - Hinterberg/Kärnten - Strantschitschach - Hemmaberg/Rosaliengrotte - Lavamünd

 

Total 191 km

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