Durch den Wienerwald und das Salzkammergut (15.-16.8.2020)

 


15. August 2020, Samstag / Maria Himmelfahrt

Heute Morgen fühle ich mich ein bisschen wie eine Adlige, vielleicht eine Gräfin oder Fürstin? Jedenfalls ist es nicht alltäglich, in einem Schlösschen aufzuwachen! Ich bin super ausgeruht, und das einzige kleine Manko ist, dass wegen des heutigen Feiertages Rezeption und Küche nicht besetzt sind - vorläufig gibt's also kein Frühstück, noch nicht mal Kaffee... Dafür erklingt gerade ein langes, fröhliches Glockenspiel aus den Türmen der Kirche St. Margareta schräg vis-à-vis; mit dem Handy in der Hand schaffe ich es gerade noch, vom Fenster aus die zweite Strophe aufzunehmen. 🔔🎵🎵



Heute steht meine letzte Etappe dieser ersten grösseren Motorradtour in Österreich an, denn morgen Abend findet in Salzburg die vierte Vorstellung von Elektra statt. Ich riskiere nie, die Rückkehr erst auf den Tag einer Vorstellung zu planen, sondern auf den Tag davor; falls irgendwas Unvorhergesehenes dazwischen kommen sollte, hätte ich dann noch genug Zeit, um zu reagieren. Den letzten Tag meiner Fünftagestour werde ich deshalb gut einteilen müssen; auf jeden Fall werde ich zu den noch fehlenden Pässen des nördlichen Wienerwaldes fahren und mich dann auf dem Weg nach Salzburg nach dem Wetter richten. 


Während ich meine Sachen zusammenpacke, wird der Regen leider wieder stärker. Meine Stiefel sind noch nicht ganz trocken von gestern, und wenn ich jetzt losfahren würde, wäre ich den ganzen Tag mit nassen Füssen unterwegs... Und da es laut Wetterapp nach einer Stunde zu regnen aufhören sollte, beschliesse ich, diese Zeit hier an der Wärme zu warten und die Stiefel noch fertig trocknen zu lassen, wobei ich mit dem Föhn da etwas nachhelfe. Diesmal nehme ich mir vor, die Regenschutzstulpen über die Stiefel zu ziehen, sobald es wieder nass werden sollte! Es geht bereits auf elf zu, bis es endlich etwas aufhellt und ich mich auf den Weg mache. Sowohl meine kleine Honda als auch ich brauchen zudem Treibstoff; bei den Tankstellen gibt es leider nur Benzin, aber nichts für meinen Magen, und so muss ich mich weiter gedulden. Mein Herz macht einen Hupf, als ich bei der Abzweigung zum ersten Pass endlich ein Lokal finde welches nicht geschlossen ist und erst noch den passendsten Namen hat: Café Cappuccino! Endlich Kaffee! Und dazu einen supergrossen und feinen Apfelstrudel als verspätetes Frühstück oder frühes Mittagessen und herzliche Gespräche mit einheimischen Menschen an der Bar.

Immenser Wienerwald
Endlich gestärkt beginne ich den Anstieg zur ersten Passhöhe und sammle kreuz und quer durch den Wienerwald fahrend nach und nach die Pässe und Wasserscheiden ein. Es ist traumhaft auf diesen kleinen, kaum befahrenen Strassen mitten durch das riesige Waldgebiet, durch dazwischen gestreute Dörfer und ein paar Feldern und Wiesen entlang. Beim nördlichsten Pass auf meiner Liste, dem Hinteren Steinberg, bin ich schon fast wieder in Wien-Döbling, wo ich vor drei Tagen übernachtete und mir diesen Punkt für später aufhob. Nach sechs Punkten in diesem Revier fahre ich westwärts zu einer weiteren Gruppe von sieben Pässen.

Der Wald wird hier lichter, aber dennoch sind die Strassen auch hier immer wieder von Bäumen umsäumt. So viel Grün um mich hatte ich noch nie! Ich mäandere insgesamt während etwa vier Stunden in diesem herrlichen Wienerwald von Pass zu Pass, von welchen jeder eine Meeresöhe um nur 500 bis 600m aufweist, und versuche, durch eine geschickte Routenplanung möglichst keine Wege doppelt zu fahren, was mir durch ein paar Zusatzkilometer ganz gut gelingt.



Dazwischen etwas Autobahn...
Nach dem letzten dieser 13 Pässe halte ich in der nächsten Ortschaft an, um ein kleines Problem mit dem Topcase zu lösen, welches sich nach langer Zeit etwas zu sehr gelockert hat. Dabei helfen mir sogleich ein paar superfreundliche Einheimische, und ich bleibe länger als erwartet in ihrer Gesellschaft auf dem grossen, leeren Parkplatz eines Supermarktes.

Um mittlerweile fast fünf Uhr nachmittags beschliesse ich, einen grossen Teil von St. Pölten aus auf der Westautobahn zu fahren, denn wenn ich hier weiter die vielen noch auf mich wartenden Pässe am Weg einsammeln möchte, bräuchte ich mindestens zwei Tage, bis ich in Salzburg wäre. Sie müssen also weiterhin warten, und ich nehme die Direttissima, wenngleich auch ungern. Zudem tut sich, je weiter ich nach Westen komme, der Himmel wieder zu und die Wolken werden immer dunkler. Ich nehme mir vor, so lange auf der Autobahn weiterzufahren, bis ich in starken Regen komme, um sie dann zu Gunsten von Landstrassen zu verlassen. Dort habe ich falls nötig die Möglichkeit, jederzeit bei einem Restaurant oder mindestens einem Unterstand Schutz zu suchen.
 

...und dann über Land durchs Salzkammergut

Nach etwa eineinhalb Stunden ist es soweit, und ich fahre bei St. Valentin raus. Ich hätte besser eine Ausfahrt früher genommen, denn von dort weg machte die Autobahn einen grossen Schwenker nach Norden Richtung Linz, was ich nun alles wieder runterfahren muss. Als erstes aber brauche ich dringend einen Essens- und Benzinstopp; Hondas Tank und mein Magen sind nach sieben Stunden wieder leer. Bei AlexAnders Café Bar kurz nach der Ausfahrt gefällt es mir gut, und ich bestelle ein grosses Gemüsesandwich und den zweiten Cappuccino von heute, welche ich auf der Terrasse geniesse, obwohl die industrielle Umgebung einen anderen Charme versprüht als die Szenerien von heute Nachmittag.

Gleich anschliessend bekommt auch meine Gefährtin ihren Treibstoff, und weiter geht's Richtung Steyr, dem Grenzfluss Enns zwischen Nieder- und Oberösterreich entlang. Von hier aus sind es per Landstrasse noch etwa zweieinhalb Stunden nachhause, mit Autobahn vielleicht höchstens 20 Minuten weniger, da ich mit meiner 125er auch dort nicht schneller als mit 100kmh unterwegs sein kann. Zudem ist es eben auch das Wetter, welches mich von der Autobahn abhält. Hinter Lastwagen herzufahren, bin ich schon bei Sonnenschein nicht so erpicht darauf, bei Regen noch viel weniger... Zum ersten Mal kommt mir heute der Gedanke, dass es vielleicht doch eine Option sein könnte, nochmals unterwegs zu übernachten und die restliche Strecke morgen früh zu fahren; wenn ich schon so nahe bei Salzburg bin, ist das Risiko nicht mehr so gross und ich könnte auch im Worst Case per ÖV oder im alleräussersten Notfall per Taxi rechtzeitig eintreffen. Ich kümmere mich aber nicht aktiv um eine Hotelsuche, sondern halte beim Fahren einfach die Augen offen nach einem Gasthof oder Bed & Breakfast. Die Auswahl ist jedoch nicht gross, und das wenige, was mir gefallen würde, ist geschlossen, während die offenen mir zu teuer sind.

Planänderung
Als ich bei Steyr vorbei bin und sich weit nach acht Uhr am Horizont wieder ein Lichtstreifen am Himmel auftut, beschliesse ich ganz spontan, beim Ennskraftwerk Rosenau über den Fluss und anschliessend hinauf auf die Mitteregg zu fahren, sodass ich auf dem Weg wenigstens noch diesen Passknackerpunkt sammeln kann. Wenn das Wetter so bleibt, würde es mir auch nichts ausmachen, erst mitten in der Nacht nachhause zu kommen. Die Fahrt vom Wehr auf die Höhe beträgt nur knappe zehn Minuten, doch in dieser kurzen Zeit schlägt das Wetter schon wieder um und begrüsst mich hier oben mit heftigem Regen und Sturm. So ist es mir nun doch zu viel, und ich schaue auf Google Maps, wo die erste Übernachtungsmöglichkeit ist - und kann es kaum glauben, dass der grosse Gutshof 100m vor meiner Nase Gästezimmer führt! Sogleich fahre ich direkt hin und läute an der Haustür. Die Zimmer seien leider alle ausgebucht, sagt mir die freundliche Wirtin, aber das Panoramabett wäre noch frei, und sie würde es mir für 50 statt 100€ geben, falls das für mich überhaupt eine Option sei. Ich kann mir absolut nichts darunter vorstellen, aber es klingt in meinen Ohren auf jeden Fall so viel besser, als mit meinem Motorrad bei Sturm und Regen weiterzusuchen, dass ich ohne Zögern zusage. Erst allmählich, nach einigen Erklärungen und auf dem Gang im Taschenlampenstrahl über eine grosse Wiese zu diesem Panoramabett dämmert mir, an welch unglaublich wunderbarem Ort ich gelandet bin...

16. August 2020, Sonntag


Ein Panoramabett mitten in der Natur!
Was für eine Nacht, und was für ein Aufwachen an diesem Sonntagmorgen! Ich liege auf einer gut 2x2m grossen Matratze, umgeben von Glaswänden zwischen vier Holzpfählen, das Ganze von einem Giebeldach abgeschlossen; die vordere Front besteht aus zwei Glasscheiben mit knorrigen grossen Holzgriffen zum Auf- und Zuschieben, und ringsum sind hellbeige Vorhänge angebracht, die man zwecks Privatsphäre und Dimmen von allzu frühem Morgenlicht zuziehen kann. Da ich beim Einschlafen hoffte, nicht den Sonnenaufgang zu verpassen (so er denn nicht sowieso hinter Wolken stattfindet), weckt mich meine innere Uhr bereits kurz nach fünf. Draussen scheint zu dieser Zeit die Tagesdämmerung grad langsam in Aufbruch und zeigt sich in einem tiefblauen dunklen Schimmer. Ich schlafe noch eine Stunde weiter, und nun ist es bereits ziemlich hell; falls es einen Sonnenaufgang gegeben hat, habe ich ihn verpasst, aber ich denke, so bewölkt und gräulich, wie das jetzt ausschaut, kam da die Sonne nicht wirklich durch. Dafür schaue ich mir nun endlich die ganze Umgebung an, von der ich im Dunkeln bis jetzt keine Ahnung hatte.






Zur Toilette und fürs Frühstück spaziere ich über die Wiese an einem Weiherchen, frei laufenden Hühnern und diversen Obstbäumen vorbei zum grossen Gutshof. Die Sonne kommt immer mehr hervor und löst die in den Tälern und der Ebene verteilten Nebelschwaden allmählich auf.

Nach dem Frühstück will ich meine sieben Sachen aus dem Glashüttchen und danach meine kleine Honda aus der Garage holen, als ich beim Heraustreten eine schon wieder völlig veränderte Wettersituation vorfinde: Wo vor fünf Minuten noch die Sonne gestrahlt hat, ist jetzt alles in dichten Nebel gehüllt! Ich bin erstaunt, aber nicht besorgt und vor allem froh, dass ich die schöne Aussicht vorhin noch geniessen konnte.


Um neun Uhr bin ich abfahrbereit. Der Nebel verzieht sich langsam, und von nun an sollte der Tag definitiv richtig sonnig werden! Ich habe mir eine ziemlich direkte Route nach Salzburg zusammengestellt, die aber dennoch über ein paar Pässe führt,
 welche mir in meiner Sammlung noch fehlen. Die etwa 150 km sollten in gut drei Stunden machbar sein.


Alle an den Seen
Ob das Wetter hier im Salzkammergut mit seinen vielen Seen schon während der ganzen Woche so schön war oder erst seit jetzt, weiss ich nicht. Jedenfalls bin ich überrascht, dass ich unten im Tal an den Ufern des Traun- und Attersees und erst recht um den Mond-, Wolfgang- und Fuschlsee herum in einer knappen Stunde so viele Menschen antreffe wie auf meiner gesamten fünfeinhalb-tägigen Tour nicht. Stellenweise ist das Chaos durch quer über Trottoirs in die Fahrbahn hinein parkierte Autos sowie Fussgänger, die sich deswegen mit ihren Gummibooten unter den Armen auf der Strasse fortbewegen müssen so gross, dass es kein Weiterkommen gibt, bis sich der Gegenverkehr irgendwie aneinander vorbeiquetschen kann. Zum Glück kann ich die Klippen mit meinem kleinen und wendigen Motorrad besser umgehen als die Autos und bin froh, als ich dieses Nadelöhr hinter mir lassen kann. Die mir schon sehr gut bekannte letzte Etappe bis Salzburg läuft dann zum Glück wieder wie geschmiert, sodass ich trotz der Verzögerung an den Seen gegen halb eins in Salzburg ankomme. Zum Abschluss dieser nunmehr Fünfeinhalbtagestour beschliesse ich (vor allem angesichts der Tatsache, dass meine Kühl- und Vorratsschränke komplett leer und die Läden zu sind), mein Mittagessen beim Restaurant am Leopoldskroner Weiher einzunehmen, nur fünf Minuten von meinem Salzburger Daheim entfernt.


Der Ausblick auf den ruhigen Weiher lässt mich während dem Essen meine Gedanken sammeln und sie von den vielen Eindrücken der letzten Tage langsam auf die vor mir liegende Festspiel-Vorstellung lenken. 

Ich freue mich.


Hier die Routenkarten von den beiden Tagen:

15. August:


Berndorf - Geschriebene Buche - Hochroterd - Kleiner Semmering - Hinterer Steinberg/Rauchengern - Hengstl/Wildlackenstrasse - Hochstrass - Forsthof - Oberpirat - Bonnleiten - Stollberg - Kleindurlas - Klammhöhe - Gerichtsberg - Hochhub/Mitteregg-Haagen

Total 312 km


16. August:


Hochhub/Mitteregg-Haagen - Kaiblingerberg - Oberschlierbach - Ziehberg/Schabenreuth - Feichtenberg - Krahbergtaferl - Salzburg

Total 157 km

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