Durchs Burgenland (13.8.2020)

 

13. August 2020, Donnerstag

Voller Tatendrang beginne ich Tag drei meiner Fünftagestour nach Österreichs Norden und "fernem" Osten. Zum äussersten Punkt, dem Braunsberg an der Grenze zur Slowakei, nehme ich die Stadtautobahn aus Wien heraus und fahre nach etwa halbem Weg ab Fischamend auf der Hainburgstrasse in derselben Richtung weiter nach Osten.

Mystischer Braunsberg
Durch das Wienertor geht's nach Hainburg hinein, in die östlichste Stadt Österreichs; auf der anderen Seite der Donau liegt die slowakische Hauptstadt Bratislava. Von Hainburg führt ein kleines Passsträsschen auf den Braunsberg, von dessen schiefem Plateau man eine wunderbare Rundumsicht geniessen kann: auf Bratislava und die Karpaten, auf das Städtchen Hainburg mit seiner Burgruine auf eigenem kleinen Hügel direkt vis-à-vis und Richtung Wien über die Donau, die wie ein sanft geschwungenes Band in der Landschaft liegt und mich meinen bereits gefahrenen Weg ahnen lässt. Die Atmosphäre hier oben ist unglaublich eindrücklich, irgendwie liegt etwas in der Luft, was ich selten woanders in dieser Intensität gespürt hab und es auch nicht beschreiben kann. Obwohl noch der ganze Tag vor mir liegt und das Wetter alles andere als stabil aussieht, nehme ich mir eine ganze Weile Zeit um das grosse Plateau abzuschreiten, die Eindrücke in mich aufzusaugen, die verschiedenen Informationstafeln und Gedenksteine zu betrachten - und mich sogar zu einem Selfie vor dem farbigen Himmelsrichtungen-Wegweiser hinreissen zu lassen :-)







Noch mehr Windräder
Bei der Abfahrt vom Braunsberg ist die Szenerie so wunderschön, dass ich nochmals einen kurzen Fotostopp für diese Bäume einhalten muss. Das Gefühl da drin ist einfach unglaublich, es kommt mir vor, wie wenn ich durch ein riesiges Spalier fahren würde. In kürzester Zeit hat mich aber auf meinem Weg ins Burgenland die Ebene wieder. Wenn ich gestern im Norden des Weinviertels beeindruckt war von den vielen riesigen Windrädern, so komme ich jetzt aus dem Staunen nicht mehr heraus: Solch einen riesigen Windpark habe ich noch nie zuvor gesehen, und die Strasse führt mitten hindurch. Ich bin von ihnen umzingelt und muss unweigerlich an Don Quijote denken - und seinen aussichtslosen Kampf... 



Haydns Geburtshaus

Auf der Weiterfahrt durchs nächste Dorf, immer noch mit den Windmühlen in meinen Gedanken, werden diese plötzlich von einem Alarmimpuls unterbrochen, ausgelöst durch ein kleines, grünes Schild an der Strasse, welches ich im letzten Moment beim Vorbeifahren noch lesen kann: Haydn Geburtshaus! Ich dachte, dass Haydn aus Eisenstadt stammte und hätte erst später mit Hinweisen auf ihn gerechnet; dass er auf der anderen Seite der Grenze zum Burgenland in diesem niederösterreichischen Dörfchen namens Rohrau geboren wurde, wusste ich nicht. Vielleicht würde es ja heute klappen mit dem Museumsbesuch, wenn auch eines anderen grossen Musikers, denke ich... Doch genau wie gestern in Gneixendorf ist auch jetzt gerade zwölf Uhr mittags vorbei, und meine Hoffnung schwindet... Meine kleine Honda parkiere ich gleich neben dem Eingang des langgezogenen Bauernhauses mit dem dichten Schilfdach, gehe zur Kasse - und bin hocherfreut, dass sie besetzt ist und das Museum offen! Es ist mit den etwa fünf Ausstellungsräumen mit historischen Möbeln und Instrumenten sowie einem schönen Innenhof nicht allzu gross, und so bekomme ich innerhalb einer halben Stunde einen recht guten Überblick über die Kinder- und Jugendjahre der Brüder Joseph und Michael. Natürlich wäre ich ohne den Zeitdruck gerne länger geblieben, doch ich bin zufrieden, dass ich diese Eindrücke mitnehmen kann. Es ist für mich immer wieder berührend, in Gebäuden zu sein, wo Künstler gelebt und gewirkt haben. Kein noch so perfekt konzipiertes Museum kann die Atmosphäre solcher Räume zustande bringen.




Weitere Pässe warten
Keine zwei Minuten nach meiner Weiterfahrt halte ich erneut ganz kurz. Ob dieser Kronleuchter einfach als Strassenbeleuchtung fungiert und/oder als Ausdruck des kulturellen Selbstverständnisses dieses Dorfes - wer weiss es... Mir gefällt diese Installation jedenfalls sehr! In Winden beim Neusiedlersee braucht's dann zur Stärkung noch einen letzten Stopp für ein kurzes Mittagessen beim Gasthaus Karlwirt, bevor es endlich wieder ans Pässeknacken geht! Und endlich wird es langsam auch wieder gebirgiger; von Westen erreichen die letzten Ausläufer der Zentralalpen das Burgenland und vom Osten her diejenigen der Karpaten. Noch auf Höhe des Neusiedlersees fahre ich einen bewaldeten Hügel hoch zum "Grossen Berg". Laut einem Schild beim Nachweispunkt führt hier ein österreichischer Weitwanderweg vorbei: der Zentralalpenweg Feldkirch - Hainburg! Zu Fuss quer durch ganz Österreich!... Der Ort ist wunderschön. Ich bewundere das Grün der knorrigen, dünnstämmigen und eng beieinanderstehenden Bäume und die Bewegungen ihrer Wipfel im kräftigen Wind.


Ungemütliche Aussichten
Nach einem weiteren Passknackerpunkt in der Nähe erreiche ich Eisenstadt und durchquere danach während etwa einer halben Stunde eine weitere Ebene bis zum Rosaliengebirge. Der Anstieg zur Kapelle führt an der imposanten Burg Forchtenstein vorbei und ist wunderschön. Allerdings beobachte ich schon länger die von Westen nahenden und immer dunkler werdenden Wolken und versuche per Wetterapp, ihre voraussichtliche Richtung einzuschätzen. Meine nächsten Ziele wären eigentlich genau dort, wo jetzt ein ziemlich heftiges Gewitter zu toben scheint. Deshalb kehre ich zum Sieggrabener Sattel lieber wieder auf derselben Strasse zurück statt auf der geplanten Runde und bin so auf der sicheren Seite - wenigstens für den Moment. Der Sieggrabener Sattel liegt an der schmalsten Stelle des Burgenlandes: gleich nebenan westlich ist Niederösterreich und östlich das ungarische Ödenburg. Da es Richtung Süden vergleichsweise heiter aussieht ändere ich meine ursprünglichen Pläne und beschliesse, die näher gelegenen westlichen Gewitterpässe vorläufig auszulassen und direkt zu den beiden südlichsten Punkten des Burgenlandes zu fahren. Je nachdem, wie sich die Wetterlage entwickelt, könnte ich mich notfalls anschliessend auf die Oststeiermark konzentrieren, und erst später auf dem Retourweg die restlichen Punkte des Burgenlandes holen.


So fahre ich nun so schnell wie möglich die ca. 50 km zum Geschriebenstein, der höchsten Erhebung des Burgenlandes, vorbei an der fantastischen Burg Lockenhaus, die ich so gerne angeschaut hätte. Meine Fahrt ist jedoch ein Wettlauf mit der Zeit, denn auch die Gewitterfront verschiebt sich parallel zu mir Richtung Süden mit spektakulärem Leuchten und düsteren Farben. Bei Regen zu fahren, macht mir nichts aus, aber bei einem Gewitter ist es mir einfach zu  gefährlich. Falls es zu nahe kommen sollte, muss ich einen geschützten Ort finden, wo ich ausharren kann. Noch ist der Abstand aber gross genug und ich fahre nochmals etwa 20 km weiter zum Eisenberger Sattel, dem südlichsten Pass des Burgenlandes.


Wettlauf gegen das Gewitter...

Mit dem Nachweisbild in der Tasche verlasse ich so schnell wie möglich den Berg, um im nächsten Dorf nach einer Bleibe für die Nacht zu suchen - in der Hoffnung, es noch vor dem Gewitter zu schaffen. Booking.com bringt mir etliche sehr, sehr günstige Vorschläge ganz in der Nähe, aber bei genauerer Betrachtung sind die alle auf der anderen Seite der Grenze - in Ungarn. Unter normalen Umständen wäre das super gewesen, aber in Coronazeiten mit den ganzen Einschränkungen kann ich es unmöglich riskieren, innerhalb der Zeit meines Engagements Österreich zu verlassen und schlimmstenfalls in Quarantäne gehen zu müssen. Aber in der ganzen Umgebung scheint es sonst kaum andere Übernachtungsmöglichkeiten zu geben, abgesehen von einem 4-Sterne-Hotel ausserhalb meiner Budgetlimite. Mangels Restaurants in diesem Dorf am Strassenrand stehend tippe ich eine Möglichkeit nach der anderen durch, bis ich endlich bei Booking.com ein bezahlbares Angebot gut 20 km von hier finde, welches ich sofort buche. Sogleich mache ich mich westwärts auf den Weg zum Gasthof Sonnenterrasse in Litzelsdorf, direkt auf die schwarze Gewitterfront zu, welche sich ihrerseits auf mich zubewegt. Nun ist einfach die grosse Frage, wer von uns beiden den Gasthof zuerst erreicht...


...und Handyprobleme

Da ich mein Handy als Navi benutze, wird es problematisch, wenn's regnet und ich auf das Navi angewiesen bin. Deswegen hoffe ich nicht nur, dass ich es vor dem Gewitter, sondern wenn möglich auch vor dem Regen in den Gasthof schaffe. Dieser kleinere Wunsch geht aber leider nicht in Erfüllung, und schon bald fallen die ersten schweren Tropfen - auf meinen Helm, auf die Honda, und aufs Handy. Es ist klar: An diesem Problem muss ich noch arbeiten.... Im Moment jedoch bleibt mir nichts anderes, als das Gerät während der Fahrt mit der Hand so gut wie möglich zu schützen und das Wasser immer wieder abzustreifen. Die Route ist ein ewig langer Zickzackkurs quer durch die Gegend, alle paar hundert Meter kommt eine Abzweigung oder Kreuzung, sodass ich mir unmöglich den ganzen Weg einprägen kann. So fahre ich von einem Dorf zum nächsten und freue mich, wie ich das zweitletzte erreiche. 


Bis jetzt meine grösste Herausforderung

Dass der schwierigste Teil erst jetzt beginnt, war allerdings aus der Route nicht ersichtlich. Die Strasse wird ab hier zu einem Feldweg und führt in unzähligen Kurven und sogar Kehren durch einen Wald. Es ist stockfinster, das Licht meiner kleinen Honda - einer ihrer Schwachpunkte - gibt wirklich nicht viel her, der Boden ist uneben und stellenweise mit Schlamm und Ästen überzogen und der Regen auf dem Visier tut den Rest. Ich konzentriere mich nur noch auf den Boden vor mir und kämpfe mich Meter um Meter vor. Wenn mir nur das Handy jetzt nicht aussteigt, denke ich und bete. Die Intervalle zwischen Blitz und Donner werden immer kürzer, das Gewitter ist jetzt wirklich sehr nah, aber auch ich nähere mich meinem Ziel. Nach einer gefühlten Ewigkeit endet der Wald endlich und nach ein paar Feldern erreiche ich wieder die ersten Häuschen. Jetzt bin ich fast da - und bin doch so am Anschlag, dass ich tatsächlich im letzten Moment noch eine falsche Abzweigung erwische. Nachschauen, umkehren, und dann den richtigen Weg einschlagen! Als ich in die Einfahrt des Gasthofes einbiege, kommt mir die Wirtin entgegen und öffnet die Tür eines Schuppens, wo ich mit meiner nassen Honda hineinfahren darf. So schnell wie möglich trockne ich das Gröbste ab, schnappe mir meinen Rucksack mit den Utensilien für die Nacht und spute zum Eingang des kleinen Hotels, als in genau diesem Moment ein mächtiger Blitz und wenige Sekundenbruchteile danach ein riesen Donnerknall bestätigen, dass auch das Gewitter in Litzelsdorf angekommen ist.

 

Wow! Das war knapp! Wie bin ich froh, die nassen Stiefel und Töffkleider abzulegen und mich ins warme Restaurant setzen zu können. Beim Blick auf mein Handy stelle ich fest, dass es sich wegen der Feuchtigkeit selbst ausgeschaltet hat und sich nun wohl eine längere Auszeit nimmt. Zum Glück ist das nicht früher passiert! Und zum Glück sind alle meine Fotos auf dem Zweithandy, welches in solchen Notfällen mit der Simkarte des anderen zum Kommunikationsmittel und zum Navi wird.

 

Obwohl die Küche eigentlich geschlossen ist, bereitet mir die Wirtin noch eine riesen Brotscheibe mit Liptauer zu und serviert dazu den obligaten weissen Spritzer.





Ich bin unendlich dankbar, dass alles so gut herausgekommen ist und ich in Sicherheit bin.

Auch wenn es draussen tobt wie verrückt - für mich scheint da drinnen die Sonne!





Wien-Döbling - Braunsberg - Grosser Berg (Durch die Wüste) - Wilder Jäger - Rosalienkapelle -Sieggrabener Sattel - Geschriebenstein - Eisenberger Sattel - Litzelsdorf

Total 292 km





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