"Passknacken" im Mühlkreis und Waldviertel (11.8.2020)

 


11. August 2020, Dienstag

Die dritte von den sechs Elektra-Vorstellungen liegt hinter mir, ebenso einige "Unterhaltsarbeiten" an Motorrad, Kleidung und Wohnung. Denn nun steht die bisher längste Etappen-Serie vor mir: fünf Tage freie Fahrt bis zur nächsten Vorstellung am 16. August! In diesen fünf Tagen wird sich herausstellen, ob die grosse Herausforderung, sämtliche 327 Österreicher Pässe zu "knacken", realistisch ist oder eher eine Vision für spätere Jahre. An das systematische Sammeln aller Punkte werde ich mich nur machen, wenn ich es schaffe, in diesen fünf bevorstehenden Tagen den äussersten Osten ganz abzudecken, sodass ich nicht ein zweites Mal diese weite Distanz bezwingen muss. Mein Handicap ist natürlich, dass ich immer wieder nach Salzburg zurückkehren muss und sich dadurch immer längere Anfahrtswege ergeben. So habe ich mir überlegt: Wenn ich einmal diese ganz östlichen in der Tasche hab und mich retour "zurückarbeite", könnte es danach reichen für den grossen Rest von Kärnten, der Steiermark, dem südlichen Nieder- und Oberösterreich und vor allem für die hohen Tiroler. Zeit dazu hätte ich in den freien Tagen zwischen den letzten drei Vorstellungen und nach Bedarf auch noch in ein bis zwei Ferienwochen, die ich als "Sammeltour" an mein Salzburger Engagement anhängen könnte, bevor ich wieder in der Schweiz sein muss. Die weniger hohen Pässe in Vorarlberg könnte ich allenfalls auch später von der Schweiz aus noch fahren. Voraussetzung ist zudem, dass mir anfangs September nicht ein frühzeitiger Wintereinbruch, der unweigerlich eine Sperrung der höchsten Pässe in Tirol zur Folge hätte, einen Strich durch die Rechnung macht.

Mit diesen halbfertigen Gedanken im Kopf habe ich mich per Mail bei einem Passknackerkollegen aus Klagenfurt gemeldet, welcher sich im letzten Jahr spontan anerboten hat, mit mir in diesem Sommer einige Pässe in seiner Umgebung gemeinsam zu fahren. Das ist für mich Anfängerin eine super nette Geste von einem Biker mit langjähriger Erfahrung nicht nur im Motorradfahren, sondern auch als Tourenführer (was ich erst nachträglich erfahren hab), und ich würde mich extrem freuen, wenn das klappt. Robert, der selber begeisterter Passknacker ist, würde mich drum mit meinen Tourenwünschen auch hundertprozentig verstehen und mir sicherlich helfen, eine perfekte Tour nach den Bedürfnissen meines Vorhabens zusammenzustellen. Fast postwendend kommt auch seine Mailantwort, bereits ausgestattet mit dem Vorschlag einer sehr sportlichen und umfassenden Kärntner Tagestour, die wir, mit einigen Anpassungen, auf einen der letzten Augusttage planen.

 

Wer mehr über die Passknacker mit ihrer aussergewöhnlichen Datenbank von zur Zeit über 4500 Pässen, einer äusserst freundschaftlichen Bikercommunity und einem jährlichen Passfahrtenwettbewerb für gleichermassen Urgesteine wie Neulinge erfahren möchte, dem sei, neben der Webseite passknacker.com, dieses Video empfohlen, welches mit wunderschönen Bildern, sehr witzigen Erklärungen und epischer Musik die Leidenschaft und Suchtgefahr des Pässeknackens aufzeigt:



Es geht schon gegen Mittag zu, als ich endlich startklar bin und per Autobahn Richtung Linz losfahre. Auf dem Programm stehen elf Punkte nordöstlich der Hauptstadt Oberösterreichs. Vor zwei Tagen war ich noch im Süden Kärntens, nun fahre ich zu den nördlichsten Erhebungen Österreichs.


Wasserscheiden vs. Hochgebirge

Der landschaftliche Unterschied ist gross, hier sind es liebliche, nur leicht hügelige Landschaften; Oberösterreichs höchster Berg, der Koblberg, zu dem ich später hinfahre, erreicht gerade mal 1044m. Während ich in Kärnten zu vielen Knackpunkten hinauf in hochgelegene Täler und wieder hinunter fuhr oder über mehr als 2000m hohe Pässe, sind es hier fast ausschliesslich Wasserscheiden von ein paar Hundert Metern Höhe, bei denen sich die dort entspringenden Bäche in verschiedene Himmelsrichtungen ihren Weg gebahnt haben. Eindrücklich ist für mich vor allem der unscheinbare Ort Hammerbichl bei Tischberg, eine Europäische Wasserscheide, deren nur wenige Hundert Meter auseinanderliegenden Quellen sich einerseits über Moldau und Elbe in die Nordsee und andererseits über die Donau ins Schwarze Meer ergiessen.



Vom Koblberg aus, wo sich eine herrliche Aussicht auf die weite Ebene bietet, schlägt mir Google eine Route zum nächsten Punkt vor, die ab einer bestimmten Abzweigung jedoch gesperrt ist. Schade, denn das wäre ein tolles Stückchen Waldschotter gewesen, welches mir sehr gefallen hätte. Nun fahre ich dafür in einem weiten Bogen in die entgegengesetzte Richtung und komme wieder zu Strassen, die ich schon vorhin gefahren bin. Der Umweg kostet mich eine gute halbe Stunde und so geht es schon auf halb fünf zu, als ich die nächste Anhöhe erreiche, die sich bereits im niederösterreichischen Waldviertel befinden.


Tor zu Tschechien
Zügig fahre ich zu den letzten beiden Wasserscheiden an der tschechischen Grenze. Der oberste Punkt ist zugleich der nördlichste aller Österreicher Passknackerpunkte. Der Mandelstein, so wird er genannt, würde laut Beschreibung einen wunderbaren Ausblick nach Tschechien und ins Sudetenland bieten, nur fehlt mir leider die Zeit für den zwanzig minütigen Fussmarsch zum Aussichtspunkt. Auf jeden Fall ein Grund, um irgendwann hierher zurückzukommen!




Magische Bucklwehluck'n
Ab hier heisst die allgemeine Richtung wieder Süden. Ich geniesse die Fahrt durch eine Bilderbuchlandschaft, in welche sowohl die Dörfchen als auch deren Häuschen wie von einer grossen Hand hineingewürfelt scheinen. Die tiefstehende Sonne taucht die gemähten Felder mit den grossen Heuballen in ein goldig-warmes Licht. Nach zwei weiteren Hügeln, wo viele Ferienwohnungen angepriesen werden und manche Ortstafeln um den stolzen Hinweis "Gesunde Gemeinde" erweitert sind, muss ich für den letzten Pass der heutigen Tour, den Blasenstein, nochmals etwas zurück nach Westen fahren - und danach endlich ein Bett für die Nacht organisieren, denn es geht bereits auf halb acht zu. Bei der Ankunft am Blasenstein herrscht jedoch eine so schöne Abendstimmung, dass es für mich viel wichtiger ist, zunächst die Umgebung und die Aussicht zu geniessen und in Bildern festzuhalten.
Einen kurzen, aber doch etwas anstrengenden Aufstieg zu Fuss nehme ich nun diesmal in Angriff, denn der Ort hat eine kleine Attraktion zu bieten: die Bucklwehluck'n ist ein etwa fünf Meter hoher gespaltener Granitblock, durch dessen Lücke man der Legende nach von Ost nach West durchkriechen soll, um sich von Kreuzschmerzen, Rheuma und auch Sünden zu befreien.



 
Der Spalt ist allerdings sehr klein, und ich würde es meiner Motorradausrüstung niemals antun, mich mit ihr dort hindurchzuzwängen. Dafür geniesse ich die fantastische Aussicht über das Mühlviertel, welches in ein fast kitschiges altrosa Abendlicht getaucht ist und erhole mich für einige Momente von der langen Fahrt bis hierher.


Mystische Donau im Dunkeln

Nun ist es aber höchste Zeit, eine Herberge zu suchen. In Richtung Linz gäbe es etliche Möglichkeiten, aber ich möchte nicht zurückfahren und suche etwas in der Himmelsrichtung, wo meine Route hinführt. Der Umkreis weitet sich immer mehr, bis mich ein preiswertes Angebot vom Gasthof Schiffmeister in Krummnussbaum bei Ybbs an der Donau anspricht. Allerdings rufe ich dort vorsichtshalber an, um sicher zu gehen, dass ich auch bei späterer Ankunft noch einchecken kann, denn es ist mittlerweile halb neun geworden, und bis zum Gasthof sind es von hier laut Google noch 47 km und mindestens ebensoviele Fahrminuten. Das sei aber alles kein Problem und sie würden auf jeden Fall auf mich warten, sagt mir die freundliche Wirtin. Im Eindunkeln fahre ich von diesem wunderschönen Ort weg und nehme den letzten Tagesabschnitt unter die Räder. Das Wetter war eigentlich während des ganzen Tages gut, doch gegen Abend ist die Bewölkung immer dichter geworden und schon bald beginnt es leicht zu regnen. Es wird nun auch ziemlich schnell dunkel und kühlt merklich ab. Die Abfahrt bis Grein an der Donau ist ein sehr kurvenreiches und ziemlich schlecht beleuchtetes Strässchen und zudem mit allerlei heruntergefallenem Geäst bedeckt. Die Fahrt verlangt vollste Konzentration und dauert länger als unter normalen Umständen.

Unten angekommen sehe ich zum ersten Mal die vor mir im Dunkeln schimmernde Donau mit grossflächigen Nebelbänken, die über ihrer Wasseroberfläche schweben. Diese unwirkliche Szenerie zieht mich ganz in Bann und schenkt mir mit ihrer fast unheimlichen Schönheit ein Glücksgefühl und einen Energieschub für die letzten Kilometer. Diese ziehen sich allerdings für mein Empfinden durch Kälte, Regen und Dunkelheit scheinbar endlos hin, doch endlich geht es kurz vor Ybbs über eine riesige Brücken-Schleusen-Anlage nach rechts über die Donau, von dort dem anderen Ufer entlang durch die Stadt und dann nochmals ein paar Kilometer weiter bis zu meiner Herberge in Krummnussbaum. Als ich mich dem stattlichen Haus nähere, steht der Wirt bereits draussen, begrüsst mich herzlich von weitem und weist mich über eine kleine Kieszufahrt zu einem Schuppen, wo ich meine Honda für die Nacht einstellen darf.

Ich bin ziemlich durchgefroren und extrem dankbar, dass ich nach zehn Uhr abends noch einen heissen Tee und ein paar selbstgebackene Kekse bekomme. Wir sitzen zu viert noch eine Weile zusammen und erzählen und hören einander zu. Meine Bewunderung für die junge Wirtsfrau, die vor zwei Jahren den ganzen Jakobsweg von hier bis nach Santiago zu Fuss gegangen ist, ist riesig. Und das unglaubliche Hochgefühl, welches sie dabei trotz der Strapazen erfahren durfte, kann ich ihr von Herzen nachempfinden. Auch ich bin auf meinen Reisen vollständig im Moment. Es geht nicht darum, zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort anzukommen, sondern es geht darum, wie man unterwegs ist. Und auch wenn der Spruch abgedroschen klingen mag, könnte man es nicht besser auf einen Nenner bringen:


Der Weg ist das Ziel.



Salzburg - Rotes Kreuz (Kammerschlag) - Hammerbichl (Tischberg) - Rosenau/Kicking - Nadelberg (Streit) - Koblberg - Schlegelberg/Rindberg - Nebelstein - Mandlstein/Grenzland Heinrich - Kleinpertenschlag - Bärnkopf - St. Thomas am Blasenstein - Krummnussbaum bei Ybbs an der Donau

Total 453 km

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