Wachau, Weinviertel, Wien (12.8.2020)


 12. August 2020, Mittwoch

Der Abschied nach einem herzhaften Frühstück und dem Kauf eines Gläschens Original Honignüsse aus der NUSSWerkstatt Krummnussbaum ist genau so herzlich wie der gestrige Empfang am späten Abend. Der Tag ist wieder herrlich und gemäss Wetterbericht sollte es heute trocken bleiben. Ich bin total gespannt auf die heutige Tour, welche mich nach zwei kleinen Übergängen in der Wachau in weiten Strecken zu den entferntesten nordöstlichen Punkten des Landes führen wird, den einzigen zweien dort oben, da weit herum alles ziemlich flach ist...


In die Wachau
Zuerst mache ich aber noch einen kleinen Abstecher zum "Pulverthurm" nur eine knappe halbe Stunde etwas südlich vom Gasthof und fahre dann in einem grossen Bogen um Melk mit seinem imposanten Stift, welches von Weitem immer wieder gut sichtbar über allem thront. Von dort geht's über die Donau und danach nordwärts in weiten, gemächlichen Kurven über Maria Laach den Jauerling hinauf. Nun bin ich bereits Mitten in der Wachau, wichtiges Weinanbaugebiet im engen Donautal zwischen Melk und Krems und seit dem Jahr 2000 Unesco Weltkulturerbe. Als sich dann auf der östlichen Abfahrt vom Jauerling nach einer Kurve der Blick auf das nächste Seitental öffnet, bin ich - wie so oft - überwältigt: soweit das Auge reicht Reben, Reben, Reben! Unweigerlich stoppe ich meine Fahrt bei der nächsten Gelegenheit und halte die Aussicht fest.

Zur Donau mit der GoPro
Gemäss Routenplanung werde ich für den nächsten Punkt zuerst wieder zur Donau runterfahren und ein paar Kilometer später wieder rauf, und da ich mir diesen Abschnitt unglaublich schön vorstelle, montiere ich gleich die GoPro an den Helm. Oft kommt mir unterwegs auf wunderschönen Strecken der Gedanke: Schade, habe ich das jetzt nicht aufgenommen! Diesmal möchte ich vorbeugen. Wenn's nicht meine Erwartungen erfüllen sollte, ist ja nichts verloren. So fahre ich also filmend weiter, durch das hübsche Weinbaudorf Gut am Steg, welches nur aus Weingütern, Heurigenlokalen, ein paar Häuschen und einer Ortskapelle zu bestehen scheint und erreiche bei Spitz die Donau. Die Fahrt bis hierher war tatsächlich wunderschön, doch die Strecke der Donau entlang habe ich mir etwas spektakulärer vorgestellt nach den Eindrücken von gestern Nacht weiter Flussaufwärts. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass jetzt einiger Verkehr herrscht, welcher von der Schönheit der Natur ablenkt und das Abenteuerfeeling ein bisschen vermissen lässt. Dennoch bin ich so vertieft in die an mir vorbeiziehenden Bilder, dass ich in Weissenkirchen beinahe die Abzweigung verpasse aber zum Glück sofort anschliessend problemlos umkehren kann. Ab hier komme ich denn auch aus dem Staunen kaum wieder heraus und bin super zufrieden, dass das alles filmisch festgehalten wird: So wunderschön ist das alte Städtchen erhalten und herausgeputzt! Durch enge Strässchen geht's wieder bergaufwärts, beim Dorfausgang umsäumt von Reben und anschliessend hauptsächlich durch Waldgebiet. Bei meinem Etappenziel, der Weiglwarte mitten im Wald hoch über Dürnstein, stoppe ich Motorrad und Kamera und freue mich bereits, diese Fahrt später beim Anschauen nochmals zu erleben. Sobald ich das Video geschnitten und mit Musik unterlegt habe, werde ich den Link hier einfügen.

Nun wartet die längste Verbindungsstrecke zwischen zwei "benachbarten" Passknackerpunkten von ganz Österreich auf mich: laut Google sind es von hier 87 km quer durch das Weinviertel bis zum Buschberg. Die Fahrt beginnt abwechslungsreich: Bereits nach wenigen Kilometern auf der östlichen Abfahrt von der Weiglwarte erreiche ich das mittelalterliche Dorf Rehberg mit seiner Burgruine, und nochmals wenige Minuten weiter, immer noch im Einzugsgebiet von Krems, sehe ich vor modernen, für die Gegend irgendwie untypischen Wohnhäusern, dieses Ortsschild:

Gneixendorf!.... Das schlägt bei mir ein wie ein Blitz.

Beethoven!

Meine Verehrung für den grossen Meister ist immens, aber wenn ich bei dieser Reise auf seinen Spuren wandeln möchte, könnte ich meine Challenge vergessen. Zu viele Orte gibt es in dieser Gegend, die irgendetwas mit ihm zu tun hätten, und Wien selber plane ich mangels Zeit nur zu durchqueren, um von den nordöstlichen zu den westlichen Pässen zu kommen. Aber wenn mich das Schicksal jetzt völlig unerwartet und ausgerechnet auf einer winzigen Nebenstrasse zu diesem verlassenen Nest geführt hat, kann ich unmöglich durchfahren, ohne nicht nachzuschauen, ob das Haus seines Bruders Johann, bei welchem er ein paar Monate bis kurz vor seinem Tod in Wien gewohnt hatte, noch steht und vielleicht ein Museum ist. Dummerweise ist es gerade kurz nach zwölf Uhr, also vermutlich Mittagspause, aber ich google dennoch an Ort und Stelle nach Informationen. Ich erfahre, dass das Wasserschloss damals Johann van Beethovens Wohnsitz war und heute in Privatbesitz ist. Es befindet sich nur etwa drei Minuten entfernt von meinem Standort beim Ortseingang. Hingegen ist das Haus gegenüber dem Schloss bekannt als das Beethovenhaus Gneixendorf und wird als privates Museum geführt. Öffnungszeiten sind keine angegeben, dafür die Telefonnummer der zuständigen Familie Gettinger, bei der man sich anmelden kann. Als erstes fahre ich zum Schloss und stelle meine Honda in den schmalen Schatten einiger über eine Mauer ragender Bäume. Es ist extrem heiss, und ich ziehe meine ganze Ausrüstung samt Stiefel aus, denn ohne Fahrtwind ist es sonst bei solchen Temperaturen kaum auszuhalten. Das Tor beim Beethovenhaus ist geschlossen, Hinweise gibt es keine, und so wähle ich die Telefonnummer der Familie Gettinger. Meine Hoffnung ist zwar nicht sehr gross, denn eine Voranmeldung kann man das ja nicht gerade nennen, wenn ich schon vor der Tür stehe. Aber vielleicht habe ich ja doch Glück...

Nun, es hat nicht sollen sein. Mein Anruf läuft leider ins Leere. So schade! Langsam gehe ich zurück zum Schloss und steige wieder in meine Motorradkluft - immer mit Blick auf den Eingang des Beethovenhauses, ob nicht vielleicht zufällig der Hausherr grad zurückkommt. Meine Abfahrt zögere ich noch ein wenig hinaus, fahre schlussendlich direkt vors Tor, um wenigstens ein Erinnerungsfoto meiner kleinen Honda vor dem grossen, geschichtsträchtigen Anwesen zu schiessen.



Ich kann mich kaum losreissen... aber ich weiss: ich werde bestimmt wieder kommen! Mit diesem guten Gedanken fahre ich weiter und freue mich auf alles, was kommt. Die letzten Hügel sind nun hinter mir, und vor mir liegt die riesige Ebene des Weinviertels. In dem Weinort Strass im Strassertale halte ich beim stattlichen Gasthof Eisenbock's Strasser Hof, um wieder einmal etwas Warmes zu essen.





Flache Berge
Danach geht es viele Kilometer der Weinviertel Strasse entlang, vorbei an unzähligen Rebstöcken, verstreuten Dörfern, unendlich weiten Wiesen, Äckern, Sonnenblumenfeldern und immer wieder Windrädern. Der Wind scheint hier wohl eine zuverlässige Konstante zu sein: stellenweise ist er so stark, dass ich Mühe habe, die Honda auf Kurs zu halten, bei starken Böen werden wir richtiggehend zur Seite gedrückt, und die Fahrt wird dadurch ziemlich anstrengend. Immerhin entschädigt das ein bisschen die fehlenden Kurven. Aber dann, endlich, ein paar Dörfer nach der grösseren Gemeinde Hollabrunn, kann ich am Horizont eine leichte Erhebung erkennen. Vom Dörfchen Pyhra aus fahre ich nach einer S-Kurve und sogar zwei richtigen Kehren hinauf auf den Buschberg. Es ist zwar sehr schön hier oben, aber ein bisschen komme ich mir schon wie im falschen Film vor. Da fährt man fast 90 km, um auf einen Pass hinaufzufahren, der es gerade mal auf 411m.ü.M. bringt und sich nur knapp über die Ebene hebt. Aber andererseits verstehe ich auch die Bewohner dieser Gegend, die vielleicht stolz sind auf ihren Berg mit der seltenen Aussicht. Ein bisschen wie in Holland...

Nach einem kurzen Schwatz mit einem sportlichen Fahrradpärchen, das kurz nach mir die Höhe erreicht hat, fahre ich die nächsten gut 30 km durch ähnliche Landschaft zu einem noch flacheren Pass: auf 310m bringt es der Steinberg nahe des Dreiländerecks mit Tschechien und der Slowakei und hat den Namen "Berg" noch weniger verdient als sein Kollege weiter westlich. Fast schnurgerade Strassen mit einigen kleinen Richtungswechseln führen zu ihm, nahe vorbei an riesigen Windrädern, welche an ihrer Spitze die Passhöhe wahrscheinlich übertreffen. Dort, wo ich das Nachweisbild für die Passknacker schiessen muss, befinden sich eine Kreuzung und ein Schilderwald. Aha. Das ist also die Passhöhe. Leicht verdutzt mache ich das Foto und trete nun die Reise nach Süden an. Mein Ziel: Wien, und wenn möglich noch ein paar von seinen Hausbergen im Wienerwald, allen voran der Kahlenberg in Heiligenstadt (auch dies eine Beethoven-Pilgerstätte, auf die ich diesmal leider verzichten werde...)

Auf nach Wien!

Es ist halb fünf vorbei und es liegen etwa 65 km vor mir, also hab ich eigentlich genug Zeit. Aber ich fahre pünktlich mit dem Abendverkehr Richtung Wien, und das braucht dann doch etwas mehr Zeit und Geduld. Die Strasse führt fast schnurgerade auf die riesige Stadt zu, und als ich noch mitten in der Pampa das Ortsschild Wien lese, kann ich es kaum glauben. Ich kenne Wien aus frühen Jugendzeiten und war auch später mehrere Male dort. Dass die Stadt riesig ist, wusste ich, aber dass sie noch viel, viel grösser sein muss, merke ich erst jetzt, als ich mich mit meinem kleinen Motorrad aus der Ebene kommend, mit dem Verkehr um mich herum in sie hineinziehen lasse.

Eigentlich bin ich am liebsten auf verlassenen Wegen weitab von Zivilisation und Tourismus unterwegs, aber ich muss zugeben, dass mir in diesem Moment das leicht chaotische, aber nicht agressive Gedränge rechten Fahrspass bereitet. Mindestens ist es eine Abwechslung und fördert wieder andere Aspekte meiner Fahrpraxis. Endlich erreicht der Pulk das Donauufer, von wo aus ich nun mit etwas Mühe, aber schlussendlich erfolgreich den Aufstieg zum Kahlenberg finde und gut eineinhalb Stunden nach der Abfahrt vom Steinberg oben ankomme.




Die Aussicht über Wiens Häusermeer ist umwerfend, einmalig! Kein Wunder, ist hier oben ziemlich viel los. Wegen dem leeren Handyakku bestelle ich im Aussichtsrestaurant einen Topfenstrudel mit Kaffee und beginne, das Handy direkt am Strom angeschlossen, nach einem Bett für die Nacht zu suchen. Ich habe riesen Glück und finde ein supergünstiges Sonderangebot des Sternehotels Schild in Wien-Döbling, also ganz in der Nähe von hier, und vor allem auch ganz in der Nähe einiger weiterer Pässe auf meiner Liste.


Sonnenuntergangsfahrt
Nach halb acht habe ich bereits eingecheckt und das Zimmer bezogen, sodass ich voller Elan und Vorfreude nochmals für eine Sonnenuntergang-Abendrunde in den Wienerwald aufbreche. Diese stündige gemütliche Fahrt in der Umgebung, die mich in einer Waldschneise wirklich mitten in den Sonnenuntergang hineinführt, ist für mich wie das Dessert am Schluss eines langen abwechslungsreichen Menus. Beim vierten Pass ist das Licht fürs Nachweisfoto bereits so spärlich, dass ich auf den fünften, der auch noch ganz in der Nähe wäre, verzichte und zurück ins Hotel fahre.

Ich bin superglücklich. Nicht nur wegen der vielen schönen Erlebnisse des Tages, sondern auch, weil sich bis jetzt alles so gut ergeben hat. Meine ganz grobe Planung, bei der ich hoffte, es am zweiten Abend nach Wien zu schaffen, ist aufgegangen. Morgen kommt Österreichs östlichster Punkt bei Bratislava und anschliessend das Burgenland an die Reihe, und danach habe ich noch zwei oder zweieinhalb Tage für die Rückreise, deren Route sich erst nach und nach ergeben wird. Noch mache ich mir keinen Druck, ob ich meine persönliche Challenge annehmen will. Aber ich bin auf gutem Weg.



Krummnussbaum - Pulverthurm - Jauerling (Oberndorf) - Weiglwarte - Buschberg - Steinberg - Kahlenberg - Wien-Döbling - Exelberg (Scheiblingstein) - Tulbinger Kogel - Passauer Hof - Riederberg - Wien-Döbling

Total 328 km

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