Letzte Zweitagestour vor dem grossen Aufbruch (22.-23.8.2020)

 

22. August, Samstag

Mein Salzburger Sommer geht langsam zu Ende... Die zweitletzte Vorstellung ist vorbei und wir stehen bereits kurz vor der Derniere in zwei Tagen! Wie unsicher war dieses Festival mitten in der Pandemie, wie sorgfältig sind wir alle damit umgegangen, damit nichts abgesagt werden musste, und wie gross war trotzdem das Risiko und die Befürchtung, dass von einem Tag auf den anderen alles vorbei sein könnte! Und nun ist es beinahe geschafft -  die sich vorsichtig ausbreitende Erleichterung unter allen Mitwirkenden ist förmlich spürbar. Und doch - wie jedes Jahr macht sich auch ein bisschen Wehmut bemerkbar, dass diese intensive Zeit des gemeinsamen Erarbeitens einer oder mehrerer Produktionen in zusammengewürfelten Ensembles aus der ganzen Welt ihrem Ende entgegen geht.

Die Dankbarkeit in diesem Jahr ist gross - die wenigsten hatten das Glück, im Kulturbereich eine Arbeit zu finden, und die Salzburger Festspielleitung kann nicht genug gelobt werden, dass es ihr gelungen ist, mit allen Kräften und Möglichkeiten in extrem kurzer Zeit und mit grossem Risiko wenigstens ein reduziertes Programm auf die Beine zu stellen - und das ausgerechnet in ihrem 100-Jahr-Jubiläum! Die Salzburger Festspiele waren weltweit die ersten der Grossen, die dank einem komplizierten Sicherheitskonzept trotz der Pandemie stattfinden konnten, und etliche weitere europäische Festivals haben darauf hin ebenfalls beschlossen, es im kleineren Rahmen zu wagen. Und Ironie des Schicksals: Obwohl nur ein Bruchteil der üblichen Besucherzahl die Vorstellungen in Salzburg tatsächlich live erleben konnte, war es dafür einem weltweiten Millionenpublikum dank einem noch nie dagewesenen Livestream-Aufwand möglich, diese Ereignisse mitzuerleben und seinen Hunger nach Musik und Kultur etwas stillen zu können.

 

Mit diesen rückblickenden Gedanken im Kopf und jenen in die nähere Zukunft gerichteten, die einige organisatorische Überlegungen zur Wohnungsrückgabe und Abreise betreffen, bin ich etwas unschlüssig, was ich mit meinen zwei freien Tagen bis zur Derniere anstellen soll. Einerseits gäbe es zuhause genug zu tun, um die Abreise so entspannt wie möglich angehen zu können; auch wäre die einzige sinnvolle Region für weiteres Pässeknacken genau dort, wo ich nach der letzten Vorstellung sowieso wieder hinfahren werde und somit insgesamt drei Mal die lange Hin- und Rückfahrt bewältigen müsste; und ausserdem ziehen von Westen herkommend schon wieder Gewitterwolken auf, die sich Salzburg relativ zügig nähern. Andererseits bin ich einfach mit dem Motorradvirus infiziert, der in meinem Innern allen Einwänden widerspricht und nur ein einziges einigermassen akzeptables Gegenargument liefert: Alle Pässe, die ich vor dem 25. August sammle, kann ich vor der grossen anschliessenden Tour abhaken und muss sie vor allem nicht mit dem grossen Zweimonatsgepäck auf der Honda fahren...

Eigentlich spricht unter dem Strich also viel mehr fürs Daheimbleiben, aber bevor ich länger abwägen kann, entscheidet mein Herz über alle Vernunft hinweg und flüstert mir zu: Wenn wir jetzt sofort aufbrechen, können wir vor dem nahenden Gewitter davonfahren und vielleicht eine viel schönere Zeit im Osten erleben!

 

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Kurz nach halb elf packe ich meinen stets griffbereiten Rucksack, schwinge mich auf die kleine Honda und los geht's per Autobahn Richtung Voralpenkreuz und dann südwärts zum ersten Ziel, dem wunderschönen Hengstpass!

 

Und wieder in die Steiermark!

Nach der Fahrt über verwinkelte kleine Strässchen zum nahe gelegenen Fahrenberg gelange ich bei Spital am Pyhrn wieder auf eine grössere Landstrasse und überquere kurz nach der Pyhrnpasshöhe bereits wieder die Grenze zur Steiermark, wo ich in der Nähe von Liezen vorgestern Nacht meinen Nachhauseweg angetreten habe. Die nächsten beiden Punkte sind wieder ganz kleine unbekannte, aber umso schönere Wasserscheiden mit wunderbaren Anfahrten, wie ich sie einfach liebe. Den Weg zum abgelegenen Vorberg, dem Bach eines kleinen Quertales und nach einer 90°-Wende dem Hang eines weiteren Seitentales entlang, fahre ich zum ersten Mal und bin begeistert und beeindruckt! Manchmal scheint es, dass die kleinsten Verbindungen unverhältnismässig grosse und teure Instandhaltungsmassnahmen benötigen...


Auf der gleichen wunderbaren Strecke fahre ich zurück ins Tal der Palten, welches durch die Schoberpassstrasse, die Pyhrnautobahn A9 Richtung Graz sowie durch die Rudolfsbahn erschlossen ist. Hier werde ich leider von der immer noch ostwärts ziehenden Gewitterfront, der ich in Salzburg davongefahren bin, eingeholt, und es sieht nicht danach aus, als ob es in kurzer Zeit vorüber wäre. Darum suche ich schon jetzt, obwohl es erst vier Uhr ist, eine Übernachtungsmöglichkeit, damit ich morgen einigermassen trocken meine geplanten Pässe anfahren kann. In der nächst grösseren Ortschaft Rottenmann halte ich vor einem Hotel, dessen Tür jedoch geschlossen ist. Nach einem Anruf auf die Nummer, welche ich über Google finde, wird mir jedoch schon nach etwa fünf Minuten geöffnet und ich erhalte in dem wunderschönen alten Bau ein heimeliges Zimmer und darf meine kleine Honda im Hof abstellen, wo sie sich vom Regen geschützt unter einem Balkon ganz nah an die Mauer kuscheln kann. Zwar habe ich weniger erreichen können, als ich für heute geplant hatte, doch bin ich super froh, diese Reise dennoch angetreten zu haben und freue mich, dass für morgen etwas besseres Wetter angesagt ist.





23. August, Sonntag



Dieser Sonntagmorgen erscheint tatsächlich bereits viel freundlicher! Die Wolken und Nebelfelder könnten sich zwar noch etwas auflösen, doch dem Fahrspass tun sie absolut keinen Abbruch! Nun kann ich die schon gestern geplanten Pässe Nagelschmiede und den Schoberpass besuchen und anschliessend südwärts über den Hohentauern mitten ins Herz der Steiermark fahren zu Pässen, die ich noch nicht kenne.

 

Steirische Juwelen

Der Hocheggersattel ist denn auch wieder ein Ort wie aus dem Bilderbuch, und ich kann mich fast nicht sattsehen am malerischen Gellsee mitten in einer intakten Moorlandschaft. Auch der anschliessende Weg zum Hinterburger Sattel mit ein paar verstreuten Bauernhöfen, kleinen Kapellen und etlichen Relikten aus der Römerzeit ist grossartig. Es folgen weitere Pässe in dieser wunderschönen Gegend mit unzähligen historischen Überbleibseln. Ich fotografiere, was mir Schönes beim Durchfahren gerade vor die Augen kommt, doch nehme ich mir fest vor, in nicht allzu ferner Zukunft hierher zurückzukommen und mir viel mehr Zeit zu nehmen, um auch die Sehenswürdigkeiten etwas abseits meiner Routen kennenzulernen.

Nach dem Erreichen des südlichsten steirischen Passes bleibt mir der geplante kurze Abstecher über die Grenze nach Kärnten zum Grattinger Sattel wegen einer Strassensperre verwehrt. Ich versuche, dennoch ein Stück raufzukommen und eventuell auf zuständige Leute zu treffen, welche mich vielleicht mit meinem leichten Motorrad nur kurz für ein Nachweisbild auf der Passhöhe durchwinken könnten, doch leider erfolglos; eine Barriere mit riesiger Fahrverbotstafel quert die gesamte Strasse, und kein Mensch ist zu sehen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es übermorgen von der kärntnerischen Südrampe her zu versuchen - was ein ziemlicher Umweg sein wird und entsprechend anspruchsvoller mit dem ganzen Gepäck auf dem Töff... Aber, so ist es nun mal, manchmal muss man sich einfach ins Unvermeidliche schicken und es gibt weitaus schlimmere Hindernisse als dieses.


Zumindest optisch werde ich nach wenigen Minuten bereits wieder entschädigt, als ich mich auf der Abfahrt hinunter ins Murtal dem Städtchen Murau nähere. Welch wunderschöne Kulisse des historischen Kerns direkt über dem Fluss! Auch bei der Durchfahrt beeindruckt mich das herausgeputzte, wunderbar erhaltene Ortsbild, die Gemütlichkeit ausstrahlende Stimmung der Passanten und manch originelle Installation...

Von hier weg folgt eine Sehenswürdigkeit der anderen, ich komme kaum vorwärts mit fahren, da ich immer wieder anhalte, um die schönen Eindrücke festzuhalten. So lasse ich für die nächsten Kilometer Bilder statt Worte sprechen:
Das Waschlrad am Rantenbach: 1966 durch ein schweres Hochwasser zerstört, sind diese Reste davon heute noch zu sehen


Seetal an der Grenze zwischen Steiermark und Salzburg:
Klausentor und Gasthaus "Zur Klause" in der Festung Klausegg

Prebersee: Idyllisch gelegener Moorsee auf 1530m.ü.M. im salzburgischen Lungau

Kirchturm im See: Der Holzturm wurde in Gedenken an einen laut Sage versunkenen Ortsteil von Ranten in diesen Landschaftsteich hineingebaut


Baierdorf: Wehrturm aus dem 11. Jh. /
Blick vom Fuss der Sölkpass-Südrampe zurück aufs Dorf und ins Tal

Sölkpass - Mein Wunder
Nach unzähligen Fotostopps und einigen Fahrten zu weiteren Wasserscheiden erreiche ich am frühen Abend den Fuss des Sölkpasses und damit den letzten Aufstieg auf dem Rückweg nach Salzburg. Die ersten ca. drei Kilometer der nach Erzherzog Johann benannten Passstrasse führen durch spärlich besiedeltes Gebiet, und anschliessend geht es durch ausgedehntes Waldgebiet stetig aufwärts. Je höher ich komme, desto mehr merke ich, dass es sich hier endlich wieder um einen "echten" Gebirgspass handelt, der mich in seiner Landschaft und Vegetation zudem stark an meine bündnerische Heimat zwischen Albulatal und Engadin erinnert. Spätestens beim Aussichtspunkt "Katschtalkehre" und der nur wenige Höhenmeter später erreichten Waldgrenze fühle ich mich fast wie zuhause. Ich liebe diese karge Landschaft, ihre Weite trotz der nahen Horizonte, ihre spröde Mischung von Stein und kärglichem Wachstum, wie ich mir die Erde bei ihrer Entstehung in meiner beschränkten Einbildungskraft vorstelle. Ich bin komplett allein unterwegs in diesem unendlich scheinenden Raum, nur von Natur umgeben, und fühle mich darin geborgen. Dies sind die Momente, welche sich tief in die Seele senken und für immer in Erinnerung bleiben. Die Momente, für welche sich jeder Aufwand, jede Entbehrung lohnt. Die Momente, in denen ich mein Glück immer noch nicht fassen kann, dass ich meinen Traum vom Motorradfahren wahrmachen konnte. Meine Dankbarkeit ist grenzenlos.






Nach einer wunderschönen und leisen Abfahrt, um Natur und Anwohner möglichst nicht zu stören, erreiche ich kurz vor Beginn der Dämmerung ziemlich durchfroren das Tal der Enns. Der Weg nach Salzburg ist noch weit, und eine Stärkung davor tut Not. Zu einem kleinen, unscheinbaren Imbiss mit dem lusitgen Namen Krotzstoa direkt an der Hauptstrasse zieht es mich magisch hin, und ich erhalte kurz vor der sonntagabendlichen Schliessung noch eine kleine Pizza und einen dringend benötigten grossen heissen Kaffee. Im Gespräch mit der Wirtin und den einzigen zwei einheimischen Gästen geniesse ich die Rast und tappe gedanklich vorsichtig zurück in die Zivilisation.

Beim Eindunkeln trete ich den Heimweg an: knapp die Hälfte führt über die Bundesstrasse bis nach Altenmarkt und von dort über die Autobahn nachhause. Es ist für die Jahreszeit sehr kalt und ich muss zweimal unterwegs anhalten, nicht nur, um mich länger aufzuwärmen, sondern auch, um die durch das eintönige Autobahnfahren einsetzende Müdigkeit zu durchbrechen. In jeder Sekunde denke ich jedoch an die vergangenen zwei Tage dieser wunderbaren Tour zurück, zu der ich um ein Haar nicht aufgebrochen wäre. Wie froh bin ich, dass ich auf mein Herz und nicht auf den Verstand gehört hab. Vielleicht ist das nicht immer die richtige Entscheidung - aber meistens schon. Und in diesem Fall war sie es definitiv!



Hier die Routenkarte dieses Wochenendes:




22. August:
Salzburg - Hengstpass - Fahrenberg - Pyhrnpass - Mitterberg - Vorberg - Rottenmann

Total 239 km


23. August:
Rottenmann - Nagelschmiede - Schoberpass - Hohentauern - Hocheggersattel - Hinterburger Sattel - Perchauer Sattel - Pöllauerhof - Talbacher Sattel - Schwarzenbichl - Prebersee/Ludlalm - Pöllauer Höhe/Schwarze Sau - Sölkpass - Salzburg

Total 432 km


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