Topp, die Wette gilt! (17.-18.8.2020)

 

17. August 2020, Montag


Nach der gestrigen Abendvorstellung, Elektra #4, konnte ich erstmals in diesen letzten paar Tagen gedanklich ein bisschen herunterfahren, all meine Eindrücke sortieren und Rückschau halten. Diese 1831km-Schlaufe von Salzburg den Grenzen Österreichs entlang bis zum äussersten Südosten und zurück auf meiner kleinen Honda haben mir gezeigt, dass es möglich ist, auch mit wenig Motorraderfahrung und auf einer kleinen Maschine grosse Ziele zu erreichen. Bis anhin wollte ich mich nicht festlegen und unter Druck setzen, so wie ich das zu Beginn meiner Österreicher Passknackertouren mit mir selber abgemacht habe. Aber nun, da ich diese grosse Hürde mit so viel Freude, Enthusiasmus und trotz etlicher Wetterunbill auch mit einer gewissen Leichtigkeit nehmen konnte, juckt es mich einfach so sehr in den Füssen, Händen und im Kopf, dass ich es mir ab heute definitiv vornehme: Ich möchte versuchen, die restlichen von allen 327 gelisteten Passknackerpunkten in diesem Jahr zu fahren, d.h. den "Länderpreis Österreich" der Passknacker in Form des beliebten Holzbrettchens anzustreben. Ich trete da gegen niemanden an, sondern es ist eine Herausforderung allein an mich und meine kleine Honda. Ich habe absolut keine Garantie, ob ich dieses Ziel erreichen kann, denn es gibt viele Unbekannten wie Wetter, Strassensperrungen, Coronaeinschränkungen, Pannen oder was weiss ich, und nur eine einzige davon könnte mein Projekt zum Scheitern bringen. Aber nach dieser letzten Tour habe ich die Zuversicht, dass ich eine Chance habe, wenn alles passt.

Und diese Chance will ich packen.

Ich nehme die Challenge an!

Topp, die Wette gilt!

 

So bin ich heute voller Adrenalin mit allerlei Vorkehrungen für die weiteren Touren beschäftigt: Meine kleine Honda braucht vor dem nächsten Trip dringend einen Ölwechsel, und ausserdem erreicht nun auch ihr Vorderreifen langsam sein Lebensende, nachdem ich den Hinterreifen bereits vor der Grossglocknertour habe wechseln lassen. Um den vorderen muss ich mich früh genug kümmern, da die spezielle Dimension 80/100-18 häufig nicht an Lager ist und lange Lieferzeiten haben kann. So ist es leider auch hier in Salzburg: Mit Schrecken erfahre ich bei Auto & Motorrad Frauenschuh, dass mein gewohnter Michelin-Reifen erst in 4-6 Wochen lieferbar wäre! Dafür bieten sie mir eine doppelt so teure Alternative von Haidenau, die bis Ende Woche da sein könnte. Es bleibt mir nichts anderes übrig, und so fixieren wir den Montagetermin auf den 24. August, den Tag der Elektra-Derniere.

Voller Zuversicht für die kommende Zeit beginne ich am frühen Nachmittag meine nächste Tour von vier Tagen. Mein erstes Ziel sind die Punkte in Oberösterreich, an denen ich gestern auf dem Heimweg vorbeifahren musste. Über einen kleinen Umweg um den Attersee nehme ich auch gleich noch die zwei schon länger geplanten Punkte Lichtenberg und den Gahberg mit seiner bekannten Sternwarte mit.



...und wieder nach Oberösterreich

Danach fahre ich etwa 90 km durchs Salzkammergut zur Schweinsegg, bei der ich gestern nur wenige Minuten entfernt vorbeigefahren bin. Beim Nachweisbild vor dem stattlichen Gutshaus treffe ich den Besitzer. Wir tauschen uns eine ganze Weile miteinander aus und ich erfahre von ihm viele Geschichten und etliche Gemeinsamkeiten, während sich auf der anderen Seite des Tales schon wieder die Wolken zu einem Gewitter zusammenbrauen... Leider gab das gestrige Hoch nur ein sehr kurzes Gastspiel, und das Wetter zeigt sich heute wieder so unbeständig, wie ich es mich nun schon gewohnt bin. Aber hey, ich bin gut ausgerüstet und lasse mir die Freude und den Spass nicht verderben! Nur schaue ich, dass ich nun schnellstens von der Anhöhe wegkomme - und kaum unten im Tal geht das Gewitter über mir auch schon los. Ich stelle meine Honda in einen gedeckten Durchgang, während ich selbst mich schräg gegenüber in ein Café setze und mich schon mal schlau mache über die Übernachtungsmöglichkeiten hier in der Nähe. Denn nun bin ich in einem Gebiet, wo es von Pässen nur so wimmelt und wo ich, falls heute nicht mehr viel möglich sein sollte, morgen richtig loslegen kann. Ich buche ein günstiges Angebot im burgmässig anmutenden Hotel Eisentor im etwa 8 km entfernten Losenstein und fahre, sobald sich das Gewitter beruhigt hat, mit einem kleinen Umweg über die schöne Passstrecke bei Oberdambach zu meinem Gasthof.


Eine halbe Stunde nach dem Zimmerbezug lässt auch der starke Regen nach, und so beschliesse ich kurz vor sieben, noch eine Runde zu drei nahen Pässen in der Umgebung zu fahren. Ich bin praktisch allein unterwegs im Dämmerungslicht einer mystischen Landschaft. Einen kurzen Fotostopp lege ich für die beeindruckende Pfarrkirche in Maria Neustift ein und komme gegen neun, als es bereits dunkel ist, zu meiner "Burg" in Losenstein zurück.







18. August 2020, Dienstag



Regen auch im Mostviertel...

Ich kann es drehen und wenden wie ich will - sämtliche Wetterapps zeigen das selbe Bild: Regen, Regen, Regen... Wenigstens weiss ich von Anfang an, was mich erwartet und kann mich darauf einstellen. Das kleine, praktische Tankcase packe ich kurzerhand in einen durchsichtigen Plastiksack, und an die Regenüberzieher auf den Stiefeln hab ich mich mittlerweile sowieso schon so gewöhnt, dass ich sie zumindest beim Fahren nicht mehr spüre. Meine Regenjacke mit neongelb leuchtendem Schulterteil hält mich darunter bis jetzt immer noch trocken und warm, nur auf die Regenhose und Handschuhüberzieher verzichte ich weiterhin, da sie mich einfach zu sehr einschränken. So eingepackt komme ich mir ein bisschen vor wie eine Astronautin, aber es gibt mir auch ein gutes und sicheres Gefühl, wie ich in den Regen hinausstapfe. Zum Glück konnte ich meine kleine Honda über Nacht in die Garage stellen, sodass wir sofort startbereit sind zu einer ausgedehnten Sammeltour Richtung Osten mit dem Ziel, in einer grossen Schlaufe zuerst die nördlichen und auf dem Rückweg die südlichen Pässe im Mostviertel, Niederösterreichs Südwesten zu besuchen.


...aber trotzdem gibt es viel zu sehen!

Wegen der tristen Aussichten mache ich ausser den Nachweisbildern kaum Fotos. Umso mehr freue ich mich, wenn es zwischendurch etwas aufhellt. Diese wunderschöne, aufs Notwendigste reduzierte Nebenverbindung von der Grestner/Ybbsitzer Höhe nach Randegg hätte mir Google niemals vorgeschlagen; ich wähle sie nur zufällig als Ausweichroute, weil mich gerade die Polizei darauf aufmerksam gemacht hat, dass über die normale Verbindung durch Gresten wegen einem Unfall im Moment kein Durchkommen sei.


Zwei Pässe später, mittlerweile ist es zwei Uhr und Zeit für ein kleines Mittagessen, komme ich vor Gaming an eine grosse Verzweigung, wo in einem der Strassenspickel eine sehr einladende "Imbissstube" steht. Auch jetzt ist es gerade trocken, und so kann ich sogar draussen direkt neben meiner Honda sitzen und in Gesellschaft von ein paar Lastwagenfahrern zur Abwechslung wieder einmal eine schöne Portion Pommes Frites geniessen. Diese kleine Oase mitten im Nirgendwo mit ihrer freundlichen Bedienung und fantasievollen Ausstattung ist supergemütlich und gefällt mir ausserordentlich.



Nach einem kleinen Abstecher über die Anhöhe Filzmoos bei Gaming nehme ich eine etwas längere Strecke zum Habetsberg unter die Räder. Auf der Abfahrt von diesem Pass stehe ich nach ein paar Kurven staunend vor der auffallenden Installation zur etwas abseits der Strasse thronenden Burg Plankenstein, welche auch ein Hotel ist! Wow, schade, ist es noch zu früh am Nachmittag, sonst würde ich hier am liebsten bleiben. Umso mehr, als es gleich wieder nass wird, und zwar heftig. Nach zwei, drei Fotos sitze ich wieder auf und düse davon, Richtung "Luft" und "Wetterlücke" im Nordosten.


Von Dirndln und Dirndln

Hier "Auf der Luft" beginnt laut Tourismustafel das Pielachtal im Mostviertel und die Reisenden werden willkommen geheissen im Dirndltal. Das erstaunt mich, hätte ich doch eher gedacht, dass Dirndln in städtischen Gebieten hergestellt werden... Die Neugierde lässt mir keine Ruhe, und ich erfahre durch googeln, dass Dirndln nicht nur traditionelle Kleider sind, sondern auf pielachtalerisch der Name für die süss-sauren Früchte der Kornelkirsche ist! (Hätte ich die Tafel genauer angeschaut, wäre ich vielleicht von selber drauf gekommen... 😉)

Bis zur Wetterlücke sind es nur ein paar Kehren runter ins Tal und auf der anderen Seite wieder hinauf, doch der Weg zu den nächsten zwei Punkten ist wieder etwas länger. Ich entschliesse mich, zuerst den Morigrabensattel anzustreben und dann zurück zur Abzweigung zu fahren und anschliessend über den Geisebensattel nach Traisen zum tanken.


Ein Hoch auf die Biker Community
Auf dem Geisebensattel schiesse ich wie gewohnt mein Nachweisbild vor dem Passschild, welches sich diesmal auf der anderen Strassenseite befindet, und quere anschliessend beschwingt in einem grosszügigen Bogen die Strasse und den angrenzenden grossen Kiesparkplatz für die Weiterfahrt die Ostrampe hinunter. Was ich nicht sehen konnte: das Kies ist nicht eine dünne Schicht auf festem Grund, wie ich es bis anhin kannte, sondern ein tiefes Kiesbett, in welchem meine kleine Honda keinen Halt mehr findet, versinkt und mit mir sanft umkippt. Ich bin so überrascht, dass ich nur verdutzt neben dem im Kies liegenden Töff stehe und schaue, ob es ihm nichts gemacht hat. Gott sei Dank ist gar nichts passiert, die feinen Kieselsteine liegen so locker aufeinander wie in einem Sandkasten, dass es keine Kratzer gibt. Nun heisst es Seitenständer ausklappen und Motorrad aufstellen!... Doch das ist einfacher gesagt als getan, da auch ich im Kies keinen Halt finde und meine arme Honda mehr hin und her rutschen würde als sich aufstellen zu lassen. Ohne Gegensteuer auf der anderen Seite schaffe ich es nicht, ohne sie nicht doch noch total zu verkratzen. So ziehe ich erst mal meinen Helm aus und hoffe auf Hilfe von der Strasse. Sogleich kommen von der einen Seite ein Auto und von der anderen vier GS-Fahrer, welche alle gleichzeitig anhalten und Hilfe signalisieren. Die Töfffahrer sind bereits abgestiegen, sodass ich dem Autofahrer winkend und mit einem Daumenhoch für sein Hilfsangebot danke. Wie froh und dankbar bin ich, dass die sprichwörtliche Hilfsbereitschaft unter Bikern (und nicht nur unter ihnen!) eine Tatsache ist und man gerade als Alleinreisende*r wirklich darauf zählen kann! Die Begegnung mit den vieren wird an diesem trüben Tag zu einem strahlenden Highlight! Nachdem wir die Honda mit vereinten Kräften wieder in die Vertikale gebracht haben, stehen wir noch eine ganze Weile zusammen neben ihr im Kies und lachen und schwatzen und halten diesen lustigen Moment in einem Erinnerungsbild fest.
Falls jemand von euch vieren hier zufälligerweise mal vorbeischauen sollte:
An dieser Stelle sei euch nochmals ganz herzlich gedankt!

 

Beim Tanken in Traisen ist es bereits 18.40 Uhr. Eigentlich habe ich heute schon so viel erreicht, dass ich hier eine Bleibe für die Nacht suchen könnte. Aber da es endlich wieder trocken ist und sich sogar ein paar Wolkenlücken am Himmel auftun, möchte ich noch ein bisschen weiterfahren, ins Halbachtal hinein, von welchem auf beiden Seiten etliche Bergstrassen hinaufführen. Ich erklimme ein sehr enges und stellenweise abenteuerliches Strässchen zur Ebenwaldhöhe auf 1020m.ü.M. und bin beeindruckt von dieser wunderschönen Hochebene. Zurück im Tal schaue ich endlich, wo es Übernachtungsmöglichkeiten hat - und ärgere mich nun, dass ich das nicht schon in Traisen gemacht hab: denn laut Goolges Angaben scheint hier in Kleinzell bis zuoberst im Tal die letzte Pension zu sein, und diese ist nur wenige 100m von meinem Standpunkt entfernt. Ich fahre hin und läute. Wenn es hier kein Bett gibt für mich, müsste ich auf der weiteren Suche an den Abzweigungen zu meinen weiteren Punkten vorbeifahren und am nächsten Tag wieder zurückkehren oder aber heute Abend Richtung Traisen zurückfahren, was genau so doof wäre. Nach längerem Warten öffnet mir der Hausherr, und obwohl eigentlich alle Zimmer besetzt sind, lässt er sich nach langem Bitten überreden und erklärt sich bereit, mir ein Sofa in der freien Ferienwohnung bereitzustellen, während ich in Ruhe meine kleine Honda für die Nacht in die Garage stellen darf!
Auch dem Ehepaar Gasteiner an dieser Stelle:
Ganz herzlichen Dank für die ausserordentliche Gastfreundschaft!



   


Wie bin ich wieder froh und dankbar!!! Und rückblickend realisiere ich, dass auf diese Weise die bestmögliche Lösung für mich zustande gekommen ist: Wenn ich bereits in Traisen online gesucht hätte, wäre diese Pension ausgebucht gewesen und ich wäre heute nicht so weit gekommen. Immer wieder erlebe ich eine wunderbare, unsichtbare Führung oder Fügung, wie immer man es nennen will. Zufall ist auf jeden Fall für mich nicht das richtige Wort. Klar, wenn ich mich so unvorbereitet in meine Tagesetappen stürze, muss ich damit rechnen, dass es mal nicht aufgeht. Oder dass ich irgendwas Schönes verpasse. Oder dass ich in unbequeme Situationen hineinschlittere. Aber dann würde ich auch nicht all die wundervollen Momente, Begegnungen, Wendungen, Aufregungen und Auflösungen erleben, die man einfach nicht planen kann. Für mich ist das die perfekte Art zu reisen, gerade weil sie so unperfekt und voller Überraschungen ist. Und ich liebe es, am Morgen aufzuwachen und den Tag zu beginnen mit einer grossen Neugierde, wo ich ihn am Abend wohl beschliessen werde...


Hier die Routenkarten von den beiden Tagen:

17. August:


Salzburg - Lichtenberg - Gahberg - Schweinsegg - Liedl (Oberdambach) - Losenstein - Schöfftaler Höhe - Hochstrass/Kaiser-Franz-Josefs-Strasse - Grossgschnaidt - Losenstein

Total 290 km



18. August:


Losenstein - Pichlhöhe/Saurüssel - Grosse Kripp - Kleine Kripp/Prolling - Grestner Höhe/Ybbsitzer Höhe - Am Hochkogel - Kraxenberg - Althenreither Anhöhe - Filzmoos (Niederösterreich) - Habetsberg/Plankenstein - In der Luft - Wetterlücke - Morigrabensattel - Geiseben - Ebenwaldhöhe - Kleinzell

Total 250 km


Kommentare

  1. Immer wieder toll, diesen Blog zu lesen. Lirica verbindet darin interessante Beschreibungen ihrer Touren und Bikererfahrungen mit wunderschönen Bildern. Gleichzeitig gibt sie uns kleine Einblicke in den Kulturbetrieb der Oper und zeigt uns immer wieder ihre Freude auch an kleinen Dingen. Eine tolle Frau und ein toller und lesenswerter Blog! Weiter so - ich freue mich! Eliana

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    1. Herzlichen Dank, liebe Eliana! Ich freue mich sehr, wenn meine Eindrücke positiv und verständlich rüberkommen! :-)

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